Andrea Knobloch

Gießener Gartenzimmer
13.09. –25.10.2014

Eröffnung: 13.09.2014, 18 Uhr

Künstlergespräch: 25.10.2014, 16 Uhr


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Die Künstlerin Andrea Knobloch (*1961, lebt in Düsseldorf) versammelt im »Gießener Gartenzimmer« Bildnisse »arbeitender« Pflanzen, die sie in Gießener Innen- und Außenräumen gefunden hat. In Büros und Ladenlokalen ebenso wie auf Parkplätzen und Außenterrassen werden diese Pflanzen als Lufterfrischer, als Dekoration, Raumteiler oder Grenzmarkierung eingesetzt. In der Rauminstallation des »Gießener Gartenzimmers« spiegelt sich die Ambivalenz zwischen romantischer Naturverklärung und funktionalisierter Natur und damit auch das Dilemma des schaffenden Menschen, der sich mit der fortdauernden Verwandlung von Natur in Kultur nach und nach seiner Lebensgrundlagen beraubt.

 

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Fotos: Paul Hess

„Keine Blume, keine Fußspur: Wo ist der Mensch? Im Transport der Felsen, in der Spur des Rechens, in der Arbeit des Schreibens.“

Andrea Knobloch, so ist es am 13.09.2014 in der Gießener Allgemeinen Zeitung zu lesen, „war bereits 2006 an einer Ausstellung zur Problematik des Mahnmals an der Licher Gabel beteiligt und im Vorfeld der Landesgartenschau leitete sie zusammen mit Ute Vorkoeper eine der ‚Rollrasenexpeditionen‘ der Künstlergruppe ‚gärtnerpflichten‘, die zu ausgewählten Kunstwerken im öffentlichen Raum Gießens führte. Zudem war sie Mitglied der Jury zum Kunstwettbewerb der Landesgartenschau.“

Nun zeigt die Künstlerin ihr „Gießener Gartenzimmer“ als raumgreifende Installation, bei der verschiedene Elemente zu einem Ganzen verflochten sind. Die Arbeit dazu hat vor über einem Jahr begonnen, als sie in öffentlichen Gebäuden, städtischen Ämtern und Schulen ‚Pflanzen an ihrem Arbeitsplatz‘ fotografiert hat.
Das Gartenzimmer markiert architektonisch gesprochen den Übergang von Drinnen und Draußen und vermittelt zwischen Wohnkultur, umbautem Raum und der Natur. Diese ist jedoch auch nur menschengemachte also „kulturalisierte“ Natur und im Fall unserer Gärten bereits gestaltet und domestiziert. Selbst dort, wo Ruderalpflanzen sich in Brachen scheinbar „wild“ ansiedeln, handelt es sich um gestaltete „Natur“, weil Bedingungen und Möglichkeiten des Wachstums menschengemacht sind.
Knoblochs „Gartenzimmer“ findet im Kiosk an der Licher Gabel seinen passenden Ort, denn das Gebäude kann auch als Transitraum zwischen dem Park „Alter Friedhof“ und der vom Verkehr stark belasteten Kreuzung verstanden werden.

Als Künstlerin, Kuratorin und Forschende fühlt sich Knobloch einer Arbeitsweise verpflichtet, die zwar von Einzelphänomenen ausgeht, aber immer auch nach den Zusammenhängen und dem Kontext von Kunstproduktion und –rezeption fragt.



In einem Text für den Künstlerkollegen Martin Pfahler schrieb Andrea Knobloch:

„Auch dem Künstler ist aufgegeben, sich nicht in eine vorgeblich autonome künstlerische Freiheit zurückzuziehen, sondern das eigene Verwickelt-Sein in die von Menschen gemachte Welt und die menschlichen Angelegenheiten als Aufgabe, als etwas ihm Aufgegebenes, wahrzunehmen und mit künstlerischen Mitteln zu beantworten. Aus der offenen Begegnung mit dem anderen und dem sich aufmerksam darauf Einlassen kann sich ein künstlerischer Prozess entwickeln, der sich nicht im Fertigstellen verschließt sondern auf etwas öffnet.“

Einige Anmerkungen zu den Elementen der Ausstellung:

Das Leuchtobjekt ist aus den Aluminium-Lamellen einer Jalousie gefertigt, die eigentlich der Verdunkelung von Räumen dient. In einer eigenen Flechttechnik ist hier ein Objekt entstanden, was andere Schattenmuster in das Gartenzimmer wirft. Die Lichtreflexe treffen auf die grafischen Strukturen der Kohlestäbchen auf den Wänden und diese wiederum sind „kultivierte Natur“. Man sieht ihnen an, dass es sich dabei um kleine Aststücke handelt, die einen langwierigen Verkohlungsprozess durchlaufen, ihre natürliche Form dabei aber erhalten haben. Als künstlerisches Material par excellence wurde es „so wie es ist“ an die Wand gebracht und zu einem Mäander zwischen Ornament und Abstraktion verdichtet. Die senkrechten Stäbchen sind frei beweglich, eben so wie Äste eines Baumes, die sich im Wind bewegen.

„Ich mag die Baumbilder von Mondrian sehr gerne – und ich glaube auch, das sieht man!“ sagte mir Andrea während des Aufbaus der Ausstellung. Ja, ich denke auch, das ist nachvollziehbar im Muster auf der Wand.

„Während der zwei Jahre und sieben Monate, die Piet Mondrian von Ende Dezember 1911 bis Juli 1914 in Paris verbrachte, schloss er sich 1912 dem Kubismus von Georges Braque und Pablo Picasso an. 1912 entstand ‚Der graue Baum‘ und weitere Arbeiten, bei denen Mondrian den (illusionistischen) Raum auflöste, indem er Flächen benutzte und in streng rechteckige Formen umwandelte.“ Andrea Knobloch führt den dreidimensionalen Raum wieder ein – mit ihrer Wandinstallation, die man als abstraktes Muster, vielleicht aber auch als Baum verstehen könnte, dessen Äste Schatten werfen: Konkretes Relief und abstraktes Muster zugleich, ähnlich wie die Zeichnung eines persischen Teppichs, die Bild und Abstraktion eines Gartens zugleich ist.

Pflanzen oder vegetabile Formen waren die allerersten Elemente im Repertoire der Ornamentik und der Dekoration von Wänden und Stoffen.
In seiner Einleitung zum Katalog der Ausstellung ‚Ornament und Abstraktion‘ (2001) schrieb Markus Brüderlin: „Nichts fürchteten die Pioniere der abstrakten Kunst wie Paul Klee oder Piet Mondrian mehr, als dass ihre revolutionären Errungenschaften mit Ornamenten verglichen würden. Jedoch, das ‚Reich des Ungegenständlichen‘ existierte, lange bevor Wassily Kandinsky um 1911 sein erstes abstraktes Aquarell schuf, allerdings angesiedelt im dienenden Bereich der Dekoration und Ornamentik.“
Heute sieht man ein, dass Werke von Frank Stella, Ellsworth Kelly oder Sol LeWitt, die mir im Zusammenhang des Wandreliefs hier in den Sinn kommen, ohne den Begriff des Ornamentes gar nicht zu verstehen sind.

Bei Andrea Knobloch kommen oft sehr beziehungsreiche aber fast vergessene Kulturtechniken zum Einsatz:

Das Köhlerhandwerk ist ein nahezu ausgestorbener Beruf. In luftdicht abgeschlossenen Meilern werden Holzscheite und Reisig bei einer Temperatur zwischen 300 und 350 °C verkohlt, ein Prozess einsetzt, der zwischen sechs bis acht Tage andauert.

Das Flechten von Haaren zu einem Zopf, das Korbflechten und das Flechten von Matten, also das Herstellen von Flechtwerk durch Ineinanderschlingen von biegsamem Material vor allem von Bast, Weide, Reisig, Rattan, Binsen – oder wie hier: Aluminiumlamellen.

Vielleicht sollte man sich um seine Pflanzen wie um seine Haare kümmern: Sie regelmäßig gießen, bzw. waschen, sie frisieren, düngen oder einfach gut pflegen.
Bei der Recherche zu den „arbeitenden Pflanzen“ war Andrea Knobloch in verschiedenen Gießener Amtsstuben, Behörden, Schulen und Institutionen zu Gast und hat fotografisch dokumentiert, wie pflanzliche Lebewesen eigentlich eher möbelähnliche Verwendung finden. Als Raumteiler, Schreibtischbegrünung oder in einer Ecke des Büros fristen sie ein eher karges und trauriges Dasein. So hat an einigen Stellen das Interesse der Künstlerin an diesen Unwichtigkeiten dazu geführt, die Pflanzen wieder einmal abzustauben, zu wässern oder auch ein wenig mehr ins rechte Licht zu rücken.

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