Ian Waelder
Bystander (Moth Joke)
Eröffnung: 20. Januar 2024, 18 Uhr
Ausstellungsdauer: 20. Januar bis 02. März 2024
Einführung: Isabelle Tondre
Artist Talk: 02. März 2024, 17 Uhr, mit Ian Waelder und Kuratorin Isabelle Tondre
Ian Waelder (* 1993 in Madrid, lebt und arbeitet in Frankfurt am Main) beschäftigt sich in seiner künstlerischen Praxis mit der Möglichkeit und Formen des Erinnerns. Mit einem sensiblen Gespür für Spuren, Archivmaterialien und die Poetik des Zufälligen stellen seine Werke Fragen nach Identität, Migrationsbiografie und Erinnerungskultur. In den letzten Jahren greift er dafür immer wieder auf die Erforschung seines Familienstammbaums zurück, um über jüngste Geschichte nachzudenken und uns gleichzeitig dazu einzuladen, unsere Haltung, unsere Sprache und die subtilen Gesten, die Worte ersetzen können, zu reflektieren.
Timo Herbst
Attempt of exhausting a place
Eröffnung: 09. März 2024, 18 Uhr
Begrüßung: Anna Seibel
Dauer der Ausstellung: 09. März – 20. April 2024
Artist Talk: 20. April 2024, 16 Uhr mit Nicole Kreckel und Timo Herbst
Timo Herbst ( *1982 in Flensburg, lebt und arbeitet in Berlin, Paris und Leipzig) nimmt Bewegungen als Ausgangspunkt für seine multimedialen Installationen. Im Neuen Kunstverein präsentiert er eine raumfassende Installation aus Videoprojektionen und Zeichnungen, die anhand der Bewegung an öffentlichen Kreuzungen in Deutschland, Frankreich und Japan neue Kompositionen der Architektur und Bewegung der Orte erstellt. Im Raum darum sind Drucke auf der Vorder- und Rückseite von japanischem Papier angeordnet, die sich mit der Entwicklung und kulturellen Parametern des Parc de la Villette in Paris beschäftigen. Es entsteht ein visueller Parcours, der sich perspektivisch mit dem Lichteinfall durch die Fenster des Kunstvereins auf dem Papier permanent ändert.
Jody Korbach
Ein Loch ist ein Loch – Niemals geht man so ganz, oder über die Unmöglichkeit anzukommen
Einführung: Valentine Goldmann und Celina Sturm
Gießener Kulturnacht: 25. Mai 2024, 17 bis 22 Uhr (mit Performance des Schützenkorps Europa)
Özge Inan und Jody Korbach
Am 8. Juni 2024 (Finissage der Ausstellung) liest Autorin und Journalistin Özge İnan aus ihrem Debütroman „Natürlich kann man hier nicht leben“. Im anschließenden Artist Talk mit Jody Korbach sprechen die beiden über den komplexen Begriff der Heimat.
Özge Inan studierte Jura in Berlin. Währenddessen begann sie, eine Kolumne für die Seenotrettungsorganisation Mission Lifeline zu schreiben. Nach ihrem ersten juristischen Staatsexamen folgten Stationen beim ZDF Magazin Royale und im Investigativressort der Süddeutschen Zeitung. Inzwischen schreibt sie vor allem für Der Freitag. Ihre Themenschwerpunkte sind Rechtspolitik, Verteilungsfragen, Geschlechtergerechtigkeit und die Türkei.
"Heimat muss man wollen. Jedenfalls dann, wenn die Heimat einem routinemäßig an die Gurgel will, weil man ihr zu links, zu schwul, zu Frau, zu arm oder einfach zu anwesend ist. Kein Grund zu bleiben ist ein guter Grund zu gehen, heißt es. Die Heimat so sehr wollen, dass man eher an ihr zugrunde geht, als dass man geht? Soll vorkommen, aber normal ist das nicht. Jedenfalls, wenn Normalität in Zahlen gemessen wird. Einundzwanzig Millionen Menschen mit Migrationshintergrund leben in Deutschland, dazu kamen in den letzten Jahren über drei Millionen Geflüchtete. Jody Korbach stellt die Frage, die keiner hören will, nämlich, wo die eigentlich hinkommen. Nein, nicht in dem Sinne. In dem anderen. In dem Sinne, dass der Sehnsuchtsort zum Albtraum wird. Dass der Fluchtpunkt keine Perspektive hat. Weil ein Loch ein Loch ist.
Wenn Normalität in Zahlen gemessen wird, ist die Migration, also das Migrieren wie das Migriertsein und das Von-Migrierten-Abstammen, ein ebenso normaler Zustand wie das Deutschsein. Ja, das sind die Auswahlmöglichkeiten, da müssen wir jetzt durch. Bevor jedenfalls die Geschichte der Menschheit eine Geschichte der Klassenkämpfe war, war sie eine Geschichte der Migranten. Unterwegs sein ist conditio humana, mehr noch als Streit oder Sprache oder Kapitalismus. Die Straßen, auf denen wir die Welt eroberten, wurden erst Jahrtausende später zu Handelswegen. Homo Migrans. Das Reisen steckt uns buchstäblich in den Knochen. Warum kriegen wir es dann nicht hin?
Man muss vielleicht so ganz gehen, um auch ganz ankommen zu können. Und das geht vielleicht gar nicht. Was dann? Martin Sellner wüsste da was. Wir haben es in hunderttausend Jahren nicht gelernt, die Reisenden das Ankommen nicht und die Einheimischen das Willkommenheißen auch nicht. Da soll noch einer sagen, Übung mache den Meister.
Hinterher will es ja immer keiner gewesen sein, dieses Deutschland, das Reisende mit Lynchmobs empfängt und klatscht, wenn ihre Häuser brennen. Man will immer Reisegenuss-Deutschland sein und nie Todesangst-Auslösen-als-Freizeitgestaltung-Deutschland. Jody Korbach lässt uns nicht so leicht vom Haken. Die einen sehen sich brüllen und spucken, schlagen und treten. Die anderen sehen sich angebrüllt und bespuckt und getreten werden. Am Ende denken beide vielleicht das gleiche, raus, bloß raus hier, raus aus diesem Loch, irgendwohin, wo “der Mensch dem Menschen ein Helfer ist”. Beide treten nach dem Ausstellungsbesuch auf die gleiche Straße und müssen versuchen, einander Helfer zu sein. Alles muss man selber machen. Fluchtwege freihalten!"
Özge Inan, Autorin und Journalistin
Die Ausstellung ist gefördert durch die SV SparkassenVersicherung
Catharina Szonn
Geliebte grüßen zum Abschied
Eröffnung: 24. August 2024, 18 Uhr
Einführung: Caroline Streck
Dauer der Ausstellung: 24. August – 12. Oktober 2024
Artist Talk: 12. Oktober 2024, 16 Uhr
Catharina Szonns raumgreifende Installationen stellen auf poetische Weise Fragen nach dem Verhältnis von Mensch und Maschine, Fortschritt und Vergänglichkeit. In ihrer aktuellen Ausstellung im Neuen Kunstverein Gießen füllt die sich auf und ab bewegende Geste einer Schranke den Raum aus. Ohne einen Weg, den sie versperrt oder zugänglich macht, ist die Vorrichtung aus dem Kontext ihrer eigentlichen, für uns alltäglichen Funktion herausgehoben. Das Winken der Schranke - alle 15 Minuten ändert sich ihre Position - lässt das Maschinenhafte menschlich wirken. Durch eine modifizierte Partygirlande, die mit der sich bewegenden Stange verbunden ist, wird die Maschine zu einem*r sprechenden Akteur*in verwandelt - sobald sie nach oben schwenkt, ist auf der Girlande eine Art Gedicht zu lesen:
Today I feel cold inside
Prognosen die das Ungewisse kalkulieren
Die Zeilen wechseln zwischen zwei Sprachen, zwischen Emotionalität und Rationalität. Stets stellt sich die Frage: Wer oder was spricht hier? Ist es die Stimme einer menschgewordenen Maschine, die uns als helfende Hand bedingungslos zur Seite steht? Oder hören wir einer menschlichen Erzählung zu? Diese unauflösbare Mehrdeutigkeit verweist auf das rationale Verhalten, dem wir - als fühlende Wesen - in einer durch und durch technisierten Umwelt oft unterworfen sind.
Das andere Ende der Girlande wird von einer kleinen Brunnenfigur gehalten, die ehrfürchtig zu der Maschine aufblickt. Hier entstehen Fragen über das Bändigen der Technik und einen möglichen Kontrollverlust: Wo finden wir uns selbst in den Abläufen unserer sich ständig verändernden, von Fortschritt getriebenen Welt wieder? Beherrschen wir die Maschinen oder beherrschen sie uns? Der spiegelnde Boden verstärkt diesen reflexiven Moment und intensiviert das Leuchten des Textes auf den LED-Paneelen:
eine Entfernung ist ein Abstand zwischen zwei Punkten
Maschinen steigern menschliche Leistungen
es hat sich nach Leben angefühlt
nothing can detach me from it
ich würde dich direkt in meine Arme schließen
wenn du nur greifbar sein würdest
Die zweite Strophe und der Ausstellungstitel verweisen auf den Alten Friedhof, der sich hinter dem Gebäude des Kunstvereins befindet. Wer gedenkt den Maschinen, wenn sie nicht mehr gebraucht werden? Was passiert mit ihnen, wenn es uns nicht mehr gibt - und umgekehrt? Es zeigt die beidseitige Abhängigkeit zwischen uns und der Technik und eröffnet eine Gegenüberstellung von Fortschritt und Vergänglichkeit.
Die menschgemachte Binarität - an/aus, offen/geschlossen - der Schranke, die eigentlich keinen interpretativen Spielraum zulässt, wird von Szonns mehrdeutiger Installation gebrochen. Die Vorrichtung stellt keinen physischen Übergang dar, sondern einen abstrakten Zwischenraum, der sinnbildlich die Verschränkung von Mensch und Maschine aufgreift und eine neue Art der Begegnung schafft.
Text: Dalwin Kryeziu & Lena Fries
Catharina Szonn (* 1987, lebt und arbeitet in Berlin) setzt sich in ihrer künstlerischen Arbeit mit technologischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten unserer Gegenwart auseinander, bei der sie Maschinen als hinterbliebene Kolloborateur:innen einer unentwegten Idee von wirtschaftlicher Expansion darstellt. Fragen nach der Unendlichkeit von Raum werden dabei ebenso verhandelt, wie das Verhältnis zwischen Mensch und Technologie, Fragen nach Fortschritt, Wachstumsutopien und deren Scheitern.
Sopo Kashakashvili
Eröffnung: Freitag, 25. Oktober 2024
Dauer der Ausstellung: 25. Oktober – 23. November 2024
Sopo Kashakashvili / sopokash (*1994) ist eine georgische interdisziplinäre Künstlerin, Kulturvermittlerin und Pädagogin. In ihrer Arbeit erforscht sie: individuelle/kollektive Geschichten, Migration/Zugehörigkeit und die Wechselbeziehung zwischen Körper und Architektur. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf der sozialen Koexistenz, der Reaktion auf unmittelbare Umgebungen und der Dekonstruktion von Sprache.
Sopos Arbeit basiert auf Rauminstallationen, die sie als „soziale Konstellationen“ bezeichnet. In diesen überlagern sich Videos, Sound, Performance, Texte und Zeichnungen zu immersiven Erfahrungen. Ihre Inspirationen stammen häufig aus dem Theater, aus Tanzchoreografien und sehr dichten textbasierten Recherchen. Die Einbeziehung von Materialien aus dem städtischen Leben, Textilien und verschiedenen Alltagsgegenständen ist in Sopos Arbeiten häufig zu sehen.
Eine weitere wichtige Ebene in ihrer Praxis sind kollaborative und kollektive Arbeiten, öffentliche Interventionen und mobile Strukturen. Sie ist ein Gründungsmitglied des Künstler*innen- und Architekten*innenkollektivs commune6x3.
Ihre jüngsten Arbeiten waren Teil des Künstler*innenhauses Mousonturm in Zusammenarbeit mit textxtnd (2023). Vor kurzem hat sie ihren Aufenthalt/Austausch mit KNUST/BlaxTarlines Ghana abgeschlossen, unterstützt von der KfW stiftung. Beim Theater Der Welt zeigte sie ihre Arbeit ,Opened Flags' (2023) mit ihrem Kollaborateur Larry Bonchaka. 2023 gewann sie den 2. Platz beim PlayGround Kunstpreis, hat in der Galerie Von&Von, (2023), Opelvillen (2022), Kunstverein Wiesbaden (2022), Kunstverein Mafiana Bold, (2022) Basis Projektraum (2022), Blech Kunst e.v., Halle, Saale (2022), Kulturzentrum Tempel, Karlsruhe (2021) gezeigt. Außerdem hat sie ihre „rhythmischen Texte“ auf verschiedenen Festivals und an verschiedenen Orten aufgeführt: Bel R Festival (2023), Jazz Montez (2023), und hat Texte beim li:tz festival für literatur (2023) und Salon der Perspektiven (2020) veröffentlicht.
Helena Hafemann
Ausstellungsdauer: 30.11.2024 –11.01.2025
Helena Hafemann (* 1997 in Wiesbaden) bewegt sich in ihren skulpturalen Arbeiten zwischen Objektkunst und großformatigen Interventionen im öffentlichen Raum. Zerfließende Porzellanscherben, bestickte Zewa-Rollen, ein Zelt aus Kartoffelschalen oder ein scheinbar aus einem Brückenpfeiler wachsendes Karussell – Helena Hafemann untersucht die Formensprache alltäglicher Dinge, die ihrem Nutzen entwachsen sind. Wegwerfartikel, Ausrangiertes und zum Ignoriert werden Verdammtes rückt sie durch akribische handarbeitliche Eingriffe nachdrücklich in unser Blickfeld. Derzeit studiert sie als Meisterschülerin in der Klasse von Professor Dieter Kiessling an der Kunsthochschule Mainz.